Verfasst von: sauvradaeva | April 6, 2012

Die Erwartungen von Fatah al Islam an die syrischen Revolutionäre

Die in Syrien und Libanon ansässige Terrororganisation Fatah al Islam (kurz FI) hat ein Kommuniqué herausgebracht, das einerseits einen Eindruck vermittelt, was FI vom Aufstand hält, und andererseits einen Einblick in das Spektrum der jihadistischen Ideologie gibt. 1 FI hat in den vergangenen Jahren mehrfach im Libanon und in Syrien Terroranschläge verübt und dabei mehr Menschen ermordet als die Flugzeugentführer am 11.09. in New York. Eine ihrer Zellen hat 2006 in der BRD versucht Anschläge zu verüben, was aber wegen dilettantischer Zünder zum Glück misslang. Assad, der Militärdiktator Syriens, beschuldigt FI die Aufstände in Syrien angezettelt und sich mehrheitlich daran beteiligt zu haben sowie natürlich für alle Gewalttaten verantwortlich zu sein. Damit hofft Assad die Repression zu rechtfertigen und der internationalen Öffentlichkeit vorgaukeln zu können er würde den ach so großen Zivilisationsfeind, ausnahmsweise nicht die USA, sondern den Jihadismus bekämpfen und nicht einfache, unbewaffnete Menschen, die von seinem Scheißregime die Schnauze voll haben, die nicht mehr unterdrückt leben wollen und sich mehr Wohlstand von seiner Abdankung/Ableben versprechen.

Die folgende Übersetzung stammt aus einem Dokument aus dem Libanon, wo der Hauptsitz der FI ist. Im Text gebe ich mehrere Anmerkungen in Klammern an, die den Text verständlicher machen sollen. Sie weisen dabei auf inhaltliche und sprachliche Bezüge hin.

Wer sich die Situation in Syrien anschaut, ist sich darüber im Klaren, dass versucht wird diese Revolution (im Original: thawra = Revolution) dauerhaft zu ersticken, gleich ob das arabische Memorandum (gemeint sind die verschiedenen Lösungsvorschläge der Arabischen Liga) erfolgreich ist oder nicht, denn dieses Memorandum ist nicht der offizielle Vertreter der Revolution. (…) Die Araber müssen nicht Syrien besuchen um die Lügen des Regimes zu durchschauen, dass es keine Revolution geben würde, besonders dann nicht, wenn es hunderte Bilder gibt, die täglich live aus dem Brennpunkt gesendet werden. Es reicht für die Diktatur nicht aus, das Memorandum zu unterschreiben um die Revolution zu stoppen, denn für die Diktatur bedeutet diese Revolution einen existenziellen Kampf, während die Revolution sie als Befreiungskrieg von einer Ära der groben Ungerechtigkeit (im Original der englische Begriff black injustice, evtl. meinen sie bleack injustice). Die Frage stellt sich also, wen die Arabische Liga täuschen will, wenn sie dem syrischen Regime einige Stunden Zeit gib das Memorandum zu unterschreiben, ihm dann mehrere Tage einräumt und schließlich noch Zeit zum Überlegen lässt? Liegt dieses Versagen der arabischen Regime an ihrer Angst, dass die Revolution ihre Länder erreicht oder liegt es an der Fehlleitung durch die USA und an der Panik der Zionisten (im Original Zionisten) vor dem, was in der Region passiert und was beim Sturz des verräterischen Regimes in Syrien geschehen könnte?

Die Arabische Liga hat den arabischen Revolutionen bewiesen, dass es eine Marionette des Westens ist: sie stehen auf der Seite des Westens um Revolutionen zu unterstützen oder eben nicht zu unterstützen. In der tunesischen Revolution versuchte die Arabische Liga Ben Ali zu retten, der eine privilegierte Partnerschaft (im Original wird tatsächlich der Begriff verwendet, der zukünftige Beziehungen zwischen der Türkei und der EU benennt) (…) In der ägyptischen Revolution hat sie mit List gegen sie operiert und verwies auf das Chaos das die Sicherheit des Verbündeten des Westens, das zionistische Gebilde, gefährdete. In Libyen war sie gezwungen auf der Welle der Revolution mitzuschwimmen, weil die Revolutionäre Waffen nahmen und nach Tripolis marschierten. Wer sagt, dass der Streit zwischen den Führern der arabischen Staaten und der Streit zwischen Gaddafi und dem Westen dazu geführt hätten, dass der Westen und die Liga gemeinsam gegen die Gaddafi-Herrschaft standen, täuscht sich. Denn die Revolutionäre haben Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass der Westen, angeführt von den USA, Gaddafi mit vielen Ratschlägen behilflich waren aus der Krise zu kommen und die Revolution zu unterdrücken, aber die andersdenkende Armee und die Situation, die außer Kontrolle geriet, zwangen sie dazu die Rolle des Verbündeten der Revolution zu spielen um so viel wie möglich vom lybischen Kuchen zu essen. Im Jemen macht die Liga weiter die Friedfertigkeit der Revolution zu garantieren und bringt Lösungen über Lösungen ein um Saleh aus der Krise zu retten, sogar auf den Leichnamen der Jemeniten. Schließlich übergaben sie die Ausarbeitung der Lösung dem Golfkooperationsrat, damit die Staaten des Rates selber vor der revolutionären und jihadistischen (im Original jihadi) Welle sicher sein können. Schließlich in Syrien, versucht der die Liga die Revolution friedlich zu halten (…). Wir wiederholen hier die Frage, wessen Interesse dient die Friedfertigkeit der Revolution in Syrien, die so blutig ist von der Ermordung ihrer Kinder? (…) Oder ist die Geschichte der Diktatur über bewaffnete Banden in den Augen der Liga wahr?

Das syrische Volk revoltierte und schuf Gruppen einerseits aus dissidenten Soldaten andererseits aus normalen Leuten um sich selbst zu schützen. Was die Liga auch immer für Initiativen und Memoranden einreicht um der Diktatur mehr Zeit zu verschaffen um die Revolution zu unterdrücken wird kein gutes Ende nehmen und nur vorherbestimmte Feststellungen treffen. Denn das Volk hat eine Wahl getroffen und wird durch dieses Memorandum zum Tode verurteilt und auf dem Friedhof ihrer Träume (?! hier verstehe ich schlicht die Metapher nicht)  beerdigt. Der Traum der Liga und hinter ihnen der Zio-Kreuzritter – die unsichtbare Hand, die die Liga leitet – das Regime zu retten ist herausgekommen. (…) Wie kann man es sich erklären, dass die Liga den syrischen Aufstand (im Original: intifada) eine “Krise” nennt (…)? Die Antwort ist schlicht die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Region und des zionistischen Gebildes, sogar wenn das ganze syrische Volk getötet wird.

(…)

Die Zio-Kreuzritter haben sich ihre Vorstellung vom “New Middle East” nicht einfach so gemacht, sondern es lag an den Plänen der Ausführenden dieser zio-kreuzritterlichen Ideologie. Das neue Konzept die Region aufzuteilen oder der sogenannte “Change” (das Obama “Change” im Original) ist abhängig vom absehbaren Ableben einer großen Zahl der Herrscher der totalitären Regime, die alt sind und bereits die 80 überschritten haben. (…) Die Zio-Kreuzritter haben bemerkt, dass der Islam erwacht ist (sahwa al Islam ist nicht nur der Name der saudischen Moslembrüder, sondern auch der islamischen Renaissance). Wenn wir ein wenig zurückgehen, stellen wir fest, dass die Zio-Kreuzritter angetrebt hatten den sogenannten “moderaten Islam” zu exportieren, der der Amorphität der “Fiqh al Ikhwan” (ein Wortspiel mit dem Namen der Moslembrüder. Diese heißen jamaat al ikhwan al muslimun. Fiqh ist das islamische Recht. Aus ihrer Ideologie, die mehrheitlich konservativ, aber nicht mehr gewaltbereit ist, machen sie das Wortspiel “fiqh al ikhwan“. Statt dem islamischen Recht vertreten sie das Recht der Moslembrüder.) entspricht und versessen darauf ist den jihadistischen Islam, der dem salafistischen Jihadismus entspricht, zu schlagen.

Der Westen nutzt die Liga um eine Rückkehr der Region von der Schwelle der Opposition und der Übergangsräte vorzugeben, in dem er die Opposition erpresst so viel wie möglich von den Konzessionen anzunehmen und dabei seinen Einfluss in der Region zu erhalten. So steht an der Seite der Revolution im Namen des Verbündeten, weil er sein Bild des Kolonialherren zu einem Retter und von einem interessegeleiteten Akteur zu einem Freund und Alliierten wandeln möchte um die Sicherheit des zionistischen Gebildes zu garantieren, gegen das das amerikanische Volk kürzlich beim Protest gegen die Finanzunternehmen in New York und Washington revoltierte. Ungeachtet dessen stellt sich heraus, dass das zionistische Gebilde die amerikanische Führung versklavt hat, in dem es seinen Präsidenten und seine Minister eingesetzt hat, und in dem es sein Volk mit Schulden erwürgt. Amerika hat die sogenannten arabischen Führer versklavt und die arabischen Führer haben die Arabische Liga versklavt. So hat diese Versklavung das arabische Memorandum geboren um einige Revolutionen zu töten und besonders die syrische Revolution, damit es die Herrschaft der Versklavung in der Region nicht zerreißen kann.

Mit der Übersetzung dieses Dokuments möchte ich eben nicht nur diese Sachverhalte aufzeigen, sondern einen Einblick in die dahinterliegende Gedankenwelt geben. Viele der Thesen sind für sich genommen richtig: z.B. Unterdrückung des Volkes, die Vorherrschaft der USA in der Region, die Pläne für einen “New Middle East”, der Versuch sowohl des Westens wie auch der arabischen Diktatoren die Aufstände niederzuschlagen oder wenigstens einzudämmen und hierzu insb. die Initiativen der arabischen Liga.

Interessant ist dabei, welcher Hintergrund bei diesem doch recht simplen Papier durchscheint. Das wichtigste Thema ist die Außenpolitik und die internationale Lage. Es muss hier nicht verwundern, dass kein Wort zur Wirtschaft oder zu sozialen Gesichtspunkten, noch nicht einmal im gesamten Text die leiseste Andeutung zum islamischen System (nizam al islam – die Traumwelt eines jeden islamistischen Tugendterroristen) fällt.

Die Wahrnehmung des politischen Systems gestaltet sich so, dass die arabischen Regime die arabische Bevölkerung unterdrücken. Die Regime arbeiten dabei mit dem Westen zusammen und dieser verfolgt einerseits seine Interesse, nämlich der Zugriff auf das Öl (nicht zitierte Passage), und wird andererseits wiederum von den Zionisten beherrscht. Die Mittel, mit denen die arabischen Regime operieren sind Gewalt und Ungerechtigkeit. Der Westen agiert mit direkter Unterstützung der Diktatoren und der “privilegierten Partnerschaft”, mit dem er aufsässige Länder an sich binden möchte. Dieser Begriff ist nicht zufällig gewählt. Es ist derselbe, den die Konservativen in Europa verwenden um die Türkei aus dem “Christenklub” draußen zu halten, aber sie auch nicht vor den Kopf zu stoßen. Der gesamte Prozess der türkischen EU-Anwartschaft wird von der FI schlicht auf “Versklavung” der Türkei reduziert und nicht auf das Bestreben der Türken selbst, selbst unter Erdogan. FI verwendet schließlich unsinnigerweise den Begriff der Rassisten, mit dem sie die Türken aussondern, aber nicht gänzlich verschrecken wollen. Vermutlich glauben sie, dass die EU die Türkei nach der außenpolitischen Umorientierung der 2000er Jahre enger an sich binden möchten qua der “privilegierten Partnerschaft”. Das Mittel der Zionisten ist schließlich die Verschwörung gegen die Welt für den eigenen Nutzen: Die Kooperation mit den arabischen Regimen soll die Sicherheit Israels garantieren, die “Versklavung” der USA und die Kontrolle der Finanzwelt soll dies ebenfalls bewerkstelligen, allerdings sind die Maßnahmen deutlich invasiver Natur. Besonders im letzten Abschnitt wird der Antisemitismus in der Gestalt der Zionisten, die die Welt über dunkle Finanzkanäle beherrschen überdeutlich. Unter Zionisten versteht FI diejenigen Juden, die eine Ideologie der Weltherrschaft anstreben und eben nicht eine gewissen Nationalismus israelischer Juden bzw. historisch betrachtet der Nationalismus von diversen europäischen und amerikanischen Juden. Der Beweis für die Weltherrschaftsansprüche ist dabei sinnigerweise die Garantie der Sicherheit Israels, von dem sie nur als Gebilde reden – wobei dieser Begriff den kolonialen und invasiven Charakter in den Nahen Osten hervorheben soll. Dafür benötigen sie die Weltherrschaft. Weitere Ausführungen hierzu sind ob der Datenlage nicht möglich.

Die ideologischen Bezüge werden bei dem Begriff Zio-Kreuzritter offensichtlich. Osama Bin Laden hat 1998 eine Fatwa erlassen, mit dem er zum Kampf gegen die Juden (im Original: yahud, also Jude und nicht Zionist) und Kreuzritter aufrief. Diese würden den Nahen Osten unterdrücken und die muslimischen Staaten zerstören. Daher wäre es die individuelle Pflicht eines jeden Moslems gegen sie zu kämpfen um Mekka und die al Aqsa-Moschee in Jerusalem zu befreien.

Ebenso deutlich kommen sie bei der Darstellung der Beziehungen zwischen den arabischen Regimen und dem Westen zu tragen. Die arabischen Regime werden vom Westen unterstützt, damit dieser seine Interesse und seine Vorherrschaft ausüben kann. Das hat der ägyptische Islamistenführer Muhammad abdul Salam Faraj von der Gruppe al Jihad in seinem Buch “die vergessene Pflicht” als “der nahe Feind” (arabische Regime) und der “ferne Feind” (die westlichen Regierungen) bezeichnet. Faraj war sehr konsequent und ermordete Sadat, also den “nahen Feind“. Das Konzept ist bis heute sehr wirkmächtig. In seinem Werk “Ritter unter dem Banner des Propheten” hat az Zawahiri, der aktuelle Al-Qaida-Führer, einen Strategiewechsel vorgeschlagen. Nicht mehr sollen die arabischen Regime gestürzt, sondern der “ferne Feind” bekämpft werden bis dieser sich aus dem Nahen Osten zurückzieht und die Unterstützung für die arabischen Regime einstellt.

Wenn Fatah al Islam nun von der Revolution spricht, dann meinen sie damit nicht den Aufstand der Bevölkerung. Diesen Unterschied kann man, wie oben angemerkt, sprachlich erkennen. Denn die Revolution der Bevölkerung nennen sie intifada (wörtlich Aufstand), wohingegen sie thawra (wörtlich Revolution) für einen spezifischen Aufstand verwenden. Damit meinen sie thawra al islam, die islamische Revolution. (siehe zum Beispiel Siyed Qutb in diesem Blog) Diese Revolution fegt die Herrschaft der Kreuzritter und Zionisten weg und sie etabliert, wie es für gute Salafisten gehört, das islamische System des Tugendterrorismus. Aus diesem Grund macht sich FI nicht mit den Forderungen der Aufständischen gemein, sie nennen sie nur verächtlich Aufständische, wohingegen sie für sich selber “Revolutionär” reklamieren. Der Aufstand soll für sie nur das Sprungbrett sein um ihre Revolution zu verwirklichen und ein Lager für den Jihadismus zu bilden. Kurz gesagt: Die Revolutionäre sind für sie nur nützliche Idioten für ihre geopolitische Wichsvorlage.

In Israel nehmen die Konservativen dies zum Anlass für Assad die Keule zu schwingen.

Fußnoten

1. Beim Begriff Jihadist folge ich der in Pakistan geläufigen Bezeichnung für einen gewaltbereiten Islamisten. In deutschen Medien wir dagegen gerne Salafismus gesagt, was allerdings zu kurz gegriffen ist. Weder sind alle Salafisten gewaltbereit, noch ist die Bereitschaft dazu auf sie beschränkt. Die FI selbst nennt sich jihadi-salafistisch.


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